Marianne von Willemer
(1784-1860)

Hintergrundinformationen


Das Heidelberger Schloß (1824)


Euch grüß ich, weite lichtumflossne Räume,
Dich, alten reichbekränzten Fürstenbau.
Euch grüß ich hohe, dichtumlaubte Bäume
Und über euch des Himmels tiefes Blau.

Wohin den Blick das Auge forschend wendet
In diesem blütenreichen Friedensraum,
Wird mir ein leiser Liebesgruß gesendet;
O freud- und leidvoll schönster Lebenstraum!

An der Terrasse hohem Berggeländer
War eine Zeit sein Kommen und sein Gehn,
Die Zeichen treuer Unterpfänder,
Sie sucht ich, und ich kann sie nicht erspähn.

Dort jenes Baumsblatt, das aus fernem Osten
Dem westöstlichen Garten anvertraut,
Gibt mir geheimer Deutung Sinn zu kosten,
Woran sich fromm die Liebende erbaut.

Dem kühlen Brunnen, wo die klare Quelle
Um grünbekränzte Marmorstufen rauscht,
Entquillt nicht leiser, rascher, Well auf Welle,
Als Blick um Blick, und Wort um Wort sich tauscht.

O schließt euch nun, ihr müden Augenlieder!
Im Dämmerlicht der fernen, schönen Zeit
Umtönen mich des Freundes hohe Lieder;
Zur Gegenwart wird die Vergangenheit.

Durch jenen Bogen trat der kalte Norden
Bedrohlich unserm friedlichen Geschick;
Die rauhe Nähe kriegerischer Horden
Betrog uns um den flüchtgen Augenblick.

Aus Sonnenstrahlen webt ihr Abendlüfte
Ein goldnes Netz um diesen Zauberort,
Berauscht mich, nehmt mich hin, ihr Blumendüfte,
Gebannt durch eure Macht kann ich nicht fort.

Schließt euch um mich, ihr unsichtbaren Schranken;
Im Zauberkreis, der magisch mich umgibt,
Versenkt euch willig, Sinne und Gedanken;
Hier war ich glücklich, liebend und geliebt.


Marianne von Willemer



Hintergrundinformation

Marianne von Willemer, die dritte Frau von Johannes von Willemer, war eine Geliebte von Johann Wolfgang von Goethe. Das vorliegende Gedicht verfaßte sie 1824 anlässlich Goethes 75. Geburtstag. Der Heidelberg-Topos eignete sich hierfür, da Goethe seit seiner Heidelberger Studienzeit große Zuneigung zu Heidelberg empfand. Bei dem im Gedicht vorkommenden Begriff des "westöstlichen Gartens" handelt es sich um eine Anspielung auf den "Westöstlichen Divan", einer Gedichtesammlung in der Goethe und Willemer ihrer gegenseitigen Liebe Ausdruck verleihen. Willemer sieht den Garten des Heidelberger Schlosses als den Garten des westöstlichen Divan, der symbolisch für ihre Liebe zu Goethe steht. Dies kommt vor allem in der letzten Zeile des Gedichts "Hier war ich glücklich, liebend und geliebt" deutlich zum Ausdruck. Beim Fortgang des "Freundes" aus dem westöstlichen Garten handelt es sich um eine allegorische Verarbeitung des Trennungsschmerzes, der der Dichterin durch die Trennung von Goethe verursacht wurde. So hatte sich der Lebensmittelpunkt des reiferen Goethe bekanntlich von Frankfurt nach Weimar verlagert, während Willemer weiterhin in Frankfurt ansässig war.

Das literarische Werk der Marianne von Willemer ist der Romantik zuzuordnen. Mit der Entstehung des Heidelberger Kreises wurde Heidelberg zum Zentrum der deutschen Spätromantik. So fanden romantische Autoren in Heidelberg vor allem durch die Schloßruine Inspiration. Auch Marianne von Willemer wurde zu diesem Gedicht durch eine Reise nach Heidelberg inspiriert.

Literatur

Debon, Günther. Der Weingott und die Blaue Blume. Heidelberg, 1995. S. 138-145.
Manger, Klaus. "Der westöstliche Garten, Marianne von Willemer, ihr Gedicht 'Das Heidelberger Schloß' und Goethe", in: Heidelberg im poetischen Augenblick. Die Stadt in Dichtung und bildender Kunst, hg. v. Manger, Klaus und Hofe, Gerhard vom. Heidelberg, 1987. S. 175-212.
Weitz
, Hans-Joachim. Der einzelne Fall. Funde und Erkundungen zu Goethe. Weimar, 1998. - darin: "Goethes Briefwechsel mit Marianne und Johann Jakob Willemer", S. 110-127.

Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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