IX. Die Heidelberger Romantik
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Einleitung
Die Heidelberger Romantik hat mit Friedrich Hölderlin (1770-1843) einen Vorgänger, der Heidelberg bereits 1798 in seiner Ode "Heidelberg" wegen seiner Schönheit lobte und als "der Vaterlandsstädte Ländlich-schönste" pries.

Im Zeitalter der Romantik wirkte Heidelberg, vor allem wegen seiner Schloßruine, besonders anziehend. So zog die Schloßruine sowohl Literaten als auch Maler (hier sind die bekanntesten Namen Carl Philipp Fohr, Karl Rottmann und Ernst Fries) der romantischen Bewegung in ihren Bann. Auf diese Weise entwickelte sich Heidelberg zum Zentrum der deutschen Spätromantik (nachdem Jena das Zentrum der Frühromantik gewesen war). Die Bedeutung von Ruinen für das romantische Kunstverständnis wurde von C. C. L. Hirschfeld folgendermaßen beschrieben: "Die wichtigste Kunst ist, ihnen das Ansehen der Kunst zu nehmen, ihnen eine Anordnung, eine Verbindung oder eine Unterbrechung zu geben, wodurch sie alt und wirklich von der Hand der Zeit oder von der Macht der Witterung gebildet scheinen" (zitiert nach: Roth, Anja-Maria. Charles de Graimberg. S. 22). Hier deutet sich also bereits das romantische Interesse an altertümlichen Relikten an, das im folgenden noch im Zusammenhang mit literarischen Projekten wie der "Zeitung für Einsiedler" und "Des Knaben Wunderhorn" beleuchtet werden wird.
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Viele Protagonisten der Heidelberger Romantik kamen als Studenten nach Heidelberg, aber auch unter den Dozenten der Universität fand die Heidelberger Romantik zahlreiche Anhänger. Zu ihnen zählten u. a. der Universitätsrektor Anton Friedrich Justus Thibaut sowie auch Joseph von Görres (1776-1848), der - als Privatdozent - an der Universität Heidelberg Vorlesungen über germanische Mythologie hielt, und damit große Anziehungskraft auf romantisch gesinnte Geister ausübte.
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Innerhalb der Heidelberger Romantik existierten verschiedene Dichterkreise von denen wohl der Heidelberger Kreis am bedeutendsten war. Der Heidelberger Kreis wurde im wesentlichen von Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) getragen. Neben der gemeinsamen Arbeit an literarischen Projekten wie der Zeitung für Einsiedler und Des Knaben Wunderhorn waren beide dadurch miteinander verbunden, daß Achim von Arnim Brentanos Schwester Bettina heiratete. Bettina von Arnim (geb. Brentano) war ebenfalls literarisch ambitioniert. In ihren Büchern und Briefen engagierte sie sich für die vormärzliche Bewegung und die Revolution.

Die Zeitung für Einsiedler
Sprachrohr des Heidelberger Kreises war die von Achim von Arnim herausgegebene Zeitung für Einsiedler, die vom 1. 4. bis zum 30. 8. 1808 insgesamt 37 mal erschien. Es handelt sich um eine Zeitung, die, - im politischen Kontext des deutschen Vormärz - durch enthusiastische Erkundung des germanischen Altertums, an der Wiederentdeckung einer gesamtdeutschen Identität mitwirken wollte, die als Basis für die Begründung eines deutschen Nationalstaats dienen sollte. Joseph von Görres, der an der Universität Heidelberg - vor dem selben programmatischen Hintergrund - Vorlesungen zur germanischen Mythologie hielt, arbeitete an der Zeitung für Einsiedler ambitioniert mit, und steuerte einschlägige Artikel bei, so z. B. den Aufsatz Der gehörnte Siegfried und die Nibelungen, der am 15. April in der Zeitung erschien.

Des Knaben Wunderhorn
Achim von Arnim und Clemens Brentano gaben, unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn, zumindest dem Anspruch nach, eine Sammlung altdeutscher Volkslieder heraus. Der Titel ist abgeleitet von dem Lied, das am Anfang der Sammlung steht. Es handelt sich hierbei um ein anglonormannisches Textfragment aus dem 12./13. Jahrhundert, das im Original den Titel "Lai du corn" trug und in Anselm Elwerts "Ungedruckte Reste alten Gesangs" (1784) in deutscher Übersetzung erschien. Der Titel steht ferner symbolisch für die wundersamen Töne, die in der Liedersammlung anklingen. Neben Elwerts Textsammlung wurden vor allem Herders Volkslieder (1778/79) und Friedrich Gräters Zeitschrift Bragur als Quellen verwendet. Textkritisch ist jedoch anzumerken, daß es sich bei weitem nicht bei allen Liedern in Des Knaben Wunderhorn um alte deutsche Volkslieder handelt. Viele der Lieder hatten einen nachweisbaren Verfasser, den Arnim und Brentano vorsätzlich verschwiegen. Einige der Gedichte hatten sie sogar selbst verfaßt und stillschweigend in Des Knaben Wunderhorn mitaufgenommen. Als fingierte Herkunftsorte notierten sie unter den jeweiligen Texten Bemerkungen wie: "In einer Spinnstube eines hessischen Dorfs aufgeschrieben", "fliegendes Blatt", "mündlich am Neckar" usw.. Auf Grund dieser unseriösen Vorgehensweise, wurde "Des Knaben Wunderhorn" bereits von zeitgenössischen Autoren stark kritisiert. Vor allem Johann Heinrich Voß, der große Gegner der Heidelberger Romantik, tat sich hierbei hervor, indem er das Wunderhorn als "heillose(n) Mischmasch von allerlei buzigen, truzigen, schmuzigen und nichtsnuzigen Gassenhauern, samt abgestandenen Kirchenhauern" bezeichnete.


Joseph von Görres
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Achim von Arnim
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Clemens Brentano
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Des Knaben
Wunderhorn
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Des Knaben
Wunderhorn
(2. Band)
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Eichendorff und der 'eleusische Bund'
Ferner war Joseph von Eichendorff (1788-1857) für die Heidelberger Romantik von großer Bedeutung. Er hatte sein Jurastudium in Halle begonnen und wechselte - gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm - an die Universität Heidelberg, nachdem Halle von napoleonischen Truppen besetzt worden war.

In Heidelberg bildeten die Brüder Eichendorff, gemeinsam mit Wilhelm Budde, Friedrich Strauß und Otto Heinrich Graf von Loeben, den 'eleusischen Bund', einen Dichterzirkel innerhalb der Heidelberger Romantik. Vom Heidelberger Kreis setzte sich der eleusische Bund insofern ab, als daß sich der Heidelberger Kreis - mit dem Ziel der Wiederentdeckung einer deutschen Identität - vor allem mit altgermanischen Sagen und Volksdichtungen beschäftigte, während der eleusische Bund eher an einer gegenwartsbezogen, ästhetisch orientierten Romantik interessiert war. Die Eichendorffs sahen also davon ab, die altgermanische Mythologie in ihrem literarischen Schaffen ideologisch zu instrumentalisieren. Trotzdem waren auch sie von der Thematik fasziniert und sollen vor allem wegen Görres' Mythologie-Vorlesungen nach Heidelberg gekommen sein. Mit Görres waren die Eichendorffs ferner auch aus konfessionellen Gründen sehr eng verbunden. So waren beide, genau wie Görres, überzeugte Katholiken, während die deutsche Literatur im Zeitalter der Romantik und des Vormärz sonst eher antikatholisch geprägt war.

Die Eichendorffs hielten sich 1807-1808 in Heidelberg auf. Sie reisten überstürzt ab, als Josephs Beziehung zu Katharina Barbara Förster unerwartet in die Brüche ging. Seinen Trennungsschmerz verarbeitete Joseph von Eichendorff in dem Gedicht "Das zerbrochene Ringlein".

Im Alter verfaßte Joseph von Eichendorff verschiedene Werke, in denen er sich seiner Studentenzeit in Heidelberg erinnert. Hierzu zählen der Rückblick "Halle und Heidelberg" und das Gedicht "Einzug in Heidelberg", in dem noch einmal das gesamte Lebensgefühl der Heidelberger Romantik zum Ausdruck kommt.

Die Brüder Boisserée
Ferner waren die aus Köln stammenden Brüder Sulpiz Boisserée (1783-1854) und Melchior Boisserée (1786-1851) von großer Bedeutung für die Heidelberger Romantik. So widmeten sie sich - vor dem Hintergrund des der romantischen Bewegung eigenen Interesses an ältester und mittelalterlicher deutscher Geschichte und Kultur - der Erforschung der mittelalterlichen Kunst. Von romantischem Sammlerehrgeiz angetrieben, trugen die Brüder Boisserée im 'Zaubersaal' des von ihnen bewohnten und nach ihnen benannten Palais Boisserée eine aufsehenerregende Sammlung mittelalterlicher Tafelgemälde (d. i. Gemälde auf transportablen Holztafeln) Ursprungs zusammen. Sie hatten diese Bilder erwerben können, da nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 viele Kunstgegenstände aus Kirchenbesitz der Säkularisation zum Opfer gefallen waren und zu geringen Preisen verkauft wurden. Die Entwicklung der Heidelberger Romantik wurde durch diese Sammlung erheblich stimuliert. Die Sammlung der Brüder Boisserée war weit über Heidelberg hinaus bekannt und entwickelte sich in der Romantik zu einer Art Nationalheiligtum. Zum romantischen Ehrgeiz der Brüder Boisserée zählte ferner die Unterstützung des Kölner Dombauvereins.
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Johann Heinrich Voß
Um der Universität Heidelberg eine gewisse Reputation zu sichern, berief der badische Kurfürst Johann Heinrich Voß (1751-1826) an die Universität Heidelberg. Voß lehrte Philosophie und klassische Philologie. Mit Voß kam jedoch ein entschiedener Gegner der Romantik nach Heidelberg, dessen Intellekt noch am Rationalismus der Aufklärung geschult war. Die Romantik erschien Voß als irrationale Schwärmerei, für die er kein Verständnis aufbringen konnte. Die Heidelberger Romantiker reagierten auf Voß vor allem in der Zeitung für Einsiedler, die in ihrer programmatischen Konzeption gegen den Voßschen Rationalismus ausgerichtet war. Voß' Kampf gegen die Heidelberger Romantik führte zur Aufspaltung der Heidelberger Professorenschaft. Der eine Teil der Heidelberger Professoren schloß sich dem Voßschen Rationalismus an und der andere der Heidelberger Romantik. Letztlich setzten sich die Voßschen Ideen durch, so daß die Romantik in Heidelberg zum erliegen kam.

Johann Heinrich Voß
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Literatur

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Debon
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Debon
, Günther. Goethes Begegnung mit Heidelberg: 23 Studien und Miniaturen. Heidelberg, 1992.
Debon, Günther. "Nachlese zu Goethes Tagen in Heidelberg", in: Heidelberger Jahrbücher, Bd. XLII, 1998. S. 191-208.
Franke, Sabine. "Und jeden blickt's wie seine Heimat an", in: Heidelberg im Gedicht, hg. v. Helmuth Kiesel. Frankfurt a. M, 1996. S. 71-78.
Fröschle
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Hoermann, Roland. Achim von Arnim. Boston, 1984.
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Krättli, Anton. "Die 'übelangeschriebenen' Lieder", in: Wortverliebt und unbesonnen. Annäherungen an Clemens Brentano, hg. v. Anton Krättli. Zürich, 1996. S. 54-79.
Levin
, Herbert. Die Heidelberger Romantik. München, 1922.
Manger, Klaus "Clemens Brentano 1806. Im Umkreis des Heidelberger Neuhumanismus", in: Heidelberger Jahrbücher, Bd. 32, 1988. S. 91-118.
Moering, Renate. "Arabeske vom Einsiedler: Eine Mischhandschrift von Bettina Brentano und Achim von Arnim", in: Schnittpunkt Romantik. Text- und Quellenstudien zur Literatur des 19. Jahrhunderts. Festschrift für Sibylle von Steinsdorff, hg. v. Wolfgang Bunzel. 1997. S. 51-57.
Nadler, Josef. Görres und Heidelberg. Berlin, 1924.
Pape, Walter. Neue Zeitung für Einsiedler. Mitteilungen der Internationalen Arnim-Gesellschaft. Köln, 2000.

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Rother, Michael und Schlechter, Arnim. Das "Heidelberger 'Wunderhorn'-Material", in: Bibliothek und Wissenschaft, Bd. 26, 1992/93. S. 65-76.
Schneider, Franz. Beiträge zur Geschichte der Heidelberger Romantik. Heidelberg, 1914.
Strack, Friedrich. "Heidelberg als Stadt der Romantik", in: Stätten deutscher Literatur. Studien zur literarischen Zentrenbildung 1750-1815, hg. v. Wolfgang Stellmacher. Frankfurt a. M., 1988. S. 455-474.
Strack, Friedrich. "Arnim, Brentano und das Wunderhorn", in: Heidelberg im poetischen Augenblick. Die Stadt in Dichtung und bildender Kunst, hg. v. Manger, Klaus und Hofe, Gerhard vom. Heidelberg: Decker, 1987.
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VandenHeuvel, Jon David. A German Life in the Age of Revolution: Joseph Görres (1776-1848), Dissertation. Columbia University, 1996.
Weiss, Hansgerhard. "Die Sibylle der Demokratie. Zu Bettina von Arnims 100. Todestag am 20. 1. 1959", in: Geist und Tat, Bd. 14, 1959. S. 20-24.

 

Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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