Thingstätte
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Im Rahmen der Thingbewegung im Dritten Reich wurde 1934-35 auf dem Heiligenberg die Thingstätte errichtet. Sie war eine von vielen Thingstätten, die in den ersten Jahren der NS-Herrschaft in Deutschland entstanden. Die mit diesen baulichen Aktivitäten verbundene Wiederbelebung der altgermanischen Thing-Tradition bildete einen wesentlichen Bestandteil der NS-Ideologie. Bei den altgermanischen Thingsitzungen handelte es sich um eine Form der Volksversammlung, die bereits in der "Germania" des Tacitus beschrieben wird. Hier heißt es: "Abgesehen von unvorhergesehenen eiligen Fällen, treten die Germanen in bestimmten Fristen bei Neumond oder Vollmond zum Thing zusammen. ... Sobald die Erschienenen es für gut befinden, setzen sie sich zur Beratung zusammen, und zwar alle in Waffen. ... Dann hört man sich den König an oder irgendeinen Edelmann, der nach Alter, Adel, Kriegsruhm und Redegabe berufen erscheint, das Wort zu ergreifen. Dieser hat mehr einen gewichtigen Rat zu erteilen, als etwas anzuordnen. Mißfällt der Vorschlag, dann wird er von der Versammlung mit lautem Murren zurückgewiesen. Findet er Beifall, so schlägt man mit den Speeren aneinander. Diese Form des Beipflichtens gilt bei ihnen als die ehrenvollste Art der Zustimmung." Wie an der taciteischen Definition deutlich wird, konnte der Thing-Gedanke leicht mit völkischem Gedankengut in Verbindung gebracht werden. Daher griff die NS-Propaganda ihn auf, um zum einen das Bild eines 'germanischen Volkscharakters' zu entwerfen und dieses auf das deutsche Volk zu beziehen, und um zum anderen ein auf der gemeinsamen germanischen Vergangenheit beruhendes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Deutschen zu wecken. Dementsprechend heißt es in einem Propagandablatt der NS-Zeit: "Bei der Gestaltung der Thingplätze wird auf deutsche Vorgeschichte zurückgegriffen. ... In diesem Zurückgreifen auf die letzten völkischen Urgründe eines echten deutschen Kults kommt der Wille zum Ausdruck, das deutsche Volk auf einer gemeinsamen geistigen Basis zu vereinigen. Hier soll die Einigung im Kulturellen vollzogen werden. Über alle konfessionellen Gegensätze hinweg
wollen wir zu einem arteigenen Kult kommen" (zitiert nach: "Der Deutsche", 4. Juli 1934, Nr. 152).

Der Heiligenberg wurde keineswegs zufällig als Ort zur Errichtung einer Thingstätte ausgewählt. Bevor der Odenwaldrand 60 n. Chr. römisch besetzt wurde, war der Heiligenberg Austragungsort diverser germanischer Kulte. Die Beweise, auf die man sich hierbei stützen kann, sind jedoch äußerst spärlich. In den Jahren nach dem Bau der Thingstätte versuchte man daher nachträglich, Beweise für die Anwesenheit von Germanen auf dem Heiligenberg zu finden, um die Platzwahl nachträglich zu legitimieren. Man ging davon aus, daß sich auf dem Heiligenberg bereits in altgermanischer Zeit eine Thingstätte befunden habe. 1937 wollte man auf dem Heiligenberg ferner eine germanische Sonnenbeobachtungsanlage entdecken.

Literatur

Lurz, Meinhold. Die Heidelberger Thingstätte. Heidelberg, 1975.


Die Thingstätte heute


Propagandaveranstaltung auf der Thingstätte in der
NS-Zeit


Bildquelle: Lurz, Meinhold. Die Heidelberger Thingstätte. Heidelberg, 1975. S. 182.


Thingstätte mit Zuschauertribüne

Bildquelle: Ludwig, Renate und Marzolff, Peter. Der Heiligenberg bei Heidelberg. Stuttgart, 1999. S. 109.

Blick auf Michaelskloster und Thingstätte

Bildquelle: Ludwig, Renate und Marzolff, Peter. Der Heiligenberg bei Heidelberg. Stuttgart, 1999. S. 73.

Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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