Die Engelsköpfchen
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"Über dem Eingang zum Ruprechtsbau des Heidelberger Schlosses ist ein reizendes, sinniges Denkmal deutscher Bildhauerkunst angebracht: zwei liebliche Engelsköpfchen, umrahmt von einem Kranz aus Rosen, in deren Mitte ein geöffneter Zirkel sich befindet. Was will uns dieses Bild besagen?

Der Baumeister des Ruprechtsbaues hatte zwei hübsche, muntere Zwillingsknaben. Die liebte er so sehr, daß er sie immer für sich haben wollte, selbst wenn er auf das hohe Baugerüst stieg. Obwohl sie völlig schwindelfrei waren und immer achtgaben, tat der eine doch einen Fehltritt und riß den anderen mit in die Tiefe. Sie waren auf der Stelle tot. War das ein Schmerz für den Vater! Er wurde krank und verlor alle Lust zum Arbeiten. Statt den halbfertigen Bau zu vollenden, flocht er täglich einen Kranz, schmückte ihn mit Rosen und trug ihn zum Friedhof an der Peterskirche, wo seine Lieblinge beerdigt waren. Kaiser Ruprecht ließ den Meister ermahnen, sein Werk endlich zu Ende zu führen. Dieser gab zur Antwort, es sei alles fertig bis auf den Abschluß des Tores. Den könne er nicht machen, weil ihm in seinem großen Schmerz kein rechter Gedanke einfalle.

Da hatte der Baumeister eines Nachts einen wunderbaren Traum. Er sah seine beiden Kinder, schöner denn je zuvor, in lichte Engel verwandelt mit dem Rosenkranz spielend, den der Vater am Abend zuvor aufs Grab gelegt hatte. Sie redeten dem Vater zu, nicht mehr zu trauern und die Arbeit wieder aufzunehmen.

Da fühlte der Tiefgebeugte neue Kraft, und schon des anderen Tages ging er mutig ans Werk. Jetzt war ihm auch offenbar geworden, wie er den Schlußstein zum Tore ausführen sollte. Er meißelte nämlich seine beiden Knaben, wie sie ihm als Engel mit dem Rosenkranz erschienen waren, in Stein aus und setzte dieses Bild als Schlußstück über das Portal. Den Zirkel aber fügte er bei als Sinnbild seiner Kunst, von der er für immer Abschied nahm. (...)".

(Bernhard, S. 7 ff.)

Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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