Joseph Victor
von Scheffel

(1826-1886)

Hintergrundinformationen


Schwanengesang (1848)

(1) O Heidelberg, o Heidelberg,
Du wunderschönes Nest,
Darinnen bin ich selber
Dereinst Student gewest,

(2)
Ein wackerer, ein flotter,
Ein braver Kamerad,
Der sein Verbindungsleben
Gar sehr geliebet hat.

(3) Verbindung, Verbindung,
Es kann nicht anders sein,
In Heidelberg, in Heidelberg
Verbindungen müssen sein.

(4) Der Vater, der Vater
Nahm Feder und Papier:
"Mein Sohn, tu ab die braune Mütz'
Und komm nach Haus zu mir!

(5) Dort oben, dort oben
Ist ein Dachkämmerlein,
Darin sollst du studieren
In Büchern groß und klein.

(6) Und hast du studieret
Wohl über Jahr und Tag,
Dann gehst du ins Examen
Mit Hut und schwarzem Frack!"

(7) Die Mutter, sie weinte:
"O Joseph, komm' nach Haus,
Du bist schon ganz verwildert
Bei den Studenten draus.

(8) Du trinkst viel, du rauchst viel,
Du wirst ein Lump am End',
Du sollst nicht länger bleiben
In Heidelberg Student!"

(9) Ich bat sie, ich klagte,
Es half mir alles nix.
Adjes drum, ihr Frankonen,
Adjes, ihr lieben Füchs!

(10) O Heidelberg, o Heidelberg,
Du wunderschöne Stadt,
Gute Nacht Studentenleben!
Ich werd' jetzt - Kandidat!

Erklärungen: (4. Strophe:) Die Frankonen trugen braune Samtmütze mit Goldstreif
ABSTAND
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Alt-Heidelberg du feine (1854)

(1) Alt-Heidelberg, du feine,
Du Stadt an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine
Kein' andre kommt dir gleich.

(2) Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehn des Stromes Wellen,
Blauäuglein blitzen drein.

(3) Und kommt aus lindem Süden
Der Frühling übers Land,
So webt er dir aus Blüten
Ein schimmernd Brautgewand.

(4) Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut,
Es klingt wie junges Lieben
Dein Name mir so traut.

(5) Und stechen mich die Dornen,
Und wird mir's drauß zu kahl,
Geb' ich dem Roß die Spornen
Und reit' ins Neckartal.


Der Herr vom Rodensteine

(1) Und wieder saß beim Weine
Im Waldhorn ob der Bruck
Der Herr vom Rodensteine
Mit schwerem Schluck und Gluck.

(2) Der Wirt sprach tief in Trauer:
"Daß Gott sich mein erbarm!
Der sitzt wie eine Mauer
Und trinkt mich nächstens arm.

(3) Wie soll das all noch enden?
Kein' Pfennig gibt er her.
Ich glaub ich laß ihn pfänden
Sonst weicht er mir nicht mehr!"

(4) Der Fronvogt samt dem Büttel
Kam handfest an im Horn:
"Heraus den Sammetkittel,
Die Stiefel und die Sporn.

(5) Heraus des Mantels Zierde,
Handschuh und Zobelhut!
Verfallen diesem Wirte
Ist all dein Hab und Gut!"

(6) Da lacht der Rodensteiner:
"Nur zu! Wie wird mir wohl!
's trinkt leichter sich und feiner
Im Unterkamisol!

(7) Und bis ihr mir die Kehlen
Könnt pfänden aus dem Hals,
Werd ich noch machen quälen,
Der Wein schenkt in Kurpfalz!"

Erklärungen: (1. Strophe:) Das Waldhorn war ein Restaurant in Heidelberg; (5. Strophe:) Zobel ist eine Marderart, die wertvolles Pelzwerk liefert; (6. Strophe:) Kamisol bezeichnet eine in historischer Zeit getragene Unterjacke (von provenzal. 'camisola', Verkleinerungsform von spätlat. 'camisa', was 'langes Unterhemd' bedeutet).


Perkeo

(1) Das war der Zwerg Perkeo im Heidelberger Schloß,
An Wuchse klein und winzig, an Durste riesengroß.

(2) Man schalt ihn einen Narren, er dachte: "Liebe Leut',
Wärt ihr wie ich doch alle feuchtfröhlich und gescheut!"

(3) Und als das Faß das große, mit Wein bestellet war,
Da ward sein künftger Standpunkt dem Zwergen völlig klar.

(4) "Fahr' wohl", sprach er, "o Welt, du Katzenjammertal,
Was sie auf dir hantieren, ist Wurst mir und egal!

(5) Um lederne Ideen rauft man manch heißen Kampf,
Es ist im Grund doch alles nur Nebel, Rauch und Dampf.

(6) Die Wahrheit liegt im Weine. Beim Weinschlurf sonder End'
Erklär' ich alter Narre fortan mich permanent".

(7) Perkeo stieg zum Keller; er kam nicht mehr herfür
Und sog bei fünfzehn Jahre am rhein'schen Malvasier.

(8) War's drunten auch stichdunkel, ihm strahlte innres Licht,
Und wankten auch die Beine, er trank und murrte nicht.

(9) Als er zum Faß gestiegen, stand's wohlgefüllt und schwer,
Doch als er kam zu sterben, klang's ausgesaugt und leer.

(10) Da sprach er fromm: "Nun preiset, ihr Leut' des Herren Macht,
Die in mir schwachem Knirpse so starkes hat vollbracht:

(11) Wie es dem kleinen David gegen Goliath einst gelang,
Also ich arm' Gezwerge den Riesen Durst bezwang.

(12) Nun singt ein De Profundis, daß das Gewölb erdröhnt,
Das Faß steht auf der Neige, ich falle sieggekrönt".

(13) Perkeo ward begraben. - Um seine Kellergruft
Beim leeren Riesenfasse weht heut noch feuchte Luft.

(14) Und wer als frommer Pilger frühmorgens ihr genaht:
Weh' ihm! Als Weinvertilger durchtobt er nachts die Stadt.

Erklärungen: (7. Strophe:) Malvasier ist ein likörartig süßer und schwerer Weißwein (nach dem italienischen Namen Malvasia für die griechische Stadt Monemvasia); (12. Strophe:) "De Profundis", dt.: "Aus der Tiefe (rief ich zu Dir, oh Herr...)", sind die Anfangsworte des 129. Psalms, der im Begräbnisritus der katholischen Kirche eine Rolle spielt.

Bilder aus Scheffels Heidelberger Studentenzeit

 

Scheffel-Denkmal, das bis 1942 auf der Schloßterasse stand


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Joseph Victor von Scheffel, Südostturm Stadthalle


Trompeter von Säkkingen, Südostturm Stadthalle


Rodensteiner, Südostturm Stadthalle


Perkeo, Südostturm Stadthalle


Perkeo, "Perkeo-Restaurant", Hauptstraße



Hintergrundinformation

Der aus Karlsruhe stammende Joseph Victor von Scheffel (1876 geadelt) ließ sich während seiner Studienzeit in Heidelberg von der Stadt verzaubern und zu diversen literarischen Werken inspirieren. Scheffel war von seinem Vater - gegen seinen Willen - zum Jurastudium veranlasst worden, und scheint sich daher dem fröhlichen Studentenleben teilweise intensiver als seinem Studium gewidmet zu haben. Im "Schwanengesang" (1848) beschreibt Scheffel seine leidenschaftliche Teilnahme am Heidelberger Verbindlungsleben, sein Engagment in der Burschenschaft Frankonia, der er als Gründungsmitglied angehörte, und den Schmerz den er empfand, als er - auf Drängen der Eltern - seine Studentenzeit zum Abschluß bringen mußte. Scheffel schloß sein Studium 1849 mit Promotion ab. Der "Schwanengesang" endet mit den Worten "Gute Nacht Studentenleben! Ich werd' jetzt - Kandidat!", was Scheffels widerwillige Meldung zum Doktorandenexamen anzeigt.

Das Gedicht "Alt-Heidelberg du feine" ist Bestandteil von Scheffels Versepos Der Trompeter von Säkkingen (1854), das einen autobiographischen Hintergrund aufweist. So handelt es sich bei dem Trompeter - in dem Scheffel offenbar sich selbst sieht - um einen gescheiterten Jurastudenten, der im Alkohol seinen Trost sucht. Dem Epos zufolge brachte der Trompeter Werner Kirchhoff der Kurfürstin, die zur Mittagszeit auf dem Schloßbalkon weilte, ein schmachtendes Liebeslied dar. Daraufhin wurde er zum Rektor der Universität zitiert. Auf Grund seines unbefugten Ständchens mit Gesang und Trompete, mußte er innerhalb von drei Tagen Heidelberg verlassen. Am vierten Tag verließ er die Kurpfalz und erreichte den Schwarzwald, wo er einem Pfarrherrn begegnete. Im Gespräch mit diesem schwärmte er von seiner Heimat in Form des Gedichts, das als "Alt-Heidelberg du feine" berühmt wurde. In seinem Bekanntheitsgrad übertrifft dieses Gedicht das Gesamtepos bei weitem. Scheffel wurde zu seinem 60. Geburtstag für diese Lobeshymne die Ehrenbürgerschaft der Stadt Heidelberg verliehen. Die von Scheffel geschaffene literarische Figur des Trompeters von Säkkingen ist Teil des Figurenprogramms am Südostturm der Stadthalle (siehe Abbildung oben rechts). Als ikonographisches Merkmal, das den Trompeter als solchen erkennbar werden läßt, findet sich hier die in den mächtigen Rollwerkkragen eingeschobene Trompete. Da Scheffels Versepos autobiographische Züge trägt, sind Ähnlichkeiten zwischen diesem Trompeter-Bildnis und einem Portrait des jungen Scheffel erkennbar. Der Handlung von Scheffels Versepos liegt ferner eine Sage zugrunde, die Scheffel wohl bei seinem Aufenthalt in Säckingen in mündlicher Überlieferung bekannt wurde: demnach begegnete Werner der Tochter des Freiherrn von Schönau, in dessen Dienst er als Trompeter trat. Auf Grund des Standesunterschiedes mißbilligte der Freiherr die sich anbahnende Beziehung zwischen Werner und seiner Tochter. Werner verließ daraufhin enttäuscht das Schloß.

1866 erschien Scheffels Liedersammlung Gaudeamus (kurz für lat.: Gaudeamus igitur, dt.: "Laßt uns uns freuen"), in der der der Dichter sein hedonistisches Weltbild artikuliert. Eine der hier auftretenden literarischen Figuren ist der Rodensteiner. Das Geschlecht der Rodensteiner existierte etwa vom 13. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Deren Stammburg Rodenstein lag inmitten des Odenwaldes, nördlich von Reichelsheim. Einige Sagen ranken sich um diese Ruine und die benachbarte Ruine Schnellerts. Danach soll im Fall eines Krieges ein wildes Heer als lärmender Geisterzug von Schnellerts nach Rodenstein ausziehen und erst im Frieden wieder zurückkehren. (Diese Legende ist u.a. im "Kurpfälzer Sagenborn" überliefert.) Nach Scheffels ironischer Umformung des beliebten Sagenstoffes soll der trinkfreudige Ritter mit seinem Heer zu ewiger Umfahrt verdammt sein. Scheffels Gedicht zufolge bricht der Rodensteiner nachts mit seinem Heer von der Burgruine auf und reitet auf der Suche nach einem letzten Glas Wein rastlos umher. (Das oben zitierte Gedicht steht am Anfang des Rodensteiner-Zyklus in Gaudeamus. Die folgenden Gedichte sind wesentlich derber und müssen hier nicht zitiert werden.)
Die in dieser Form von Scheffel geschaffene Figur ist Teil des Figurenprogramms am Südostturm der Stadthalle. Hier findet sich der oben abgebildete Kopf des Rodensteiners. Zu beiden Seiten des Kopfes sieht man Fledermäuse mit ausgebreiteten Flügeln. Neben dem linken Ohr befindet sich ein Geierschädel. Unterhalb des Barts halten zwei Vogelklauen einen Stiefelsporn. Diese Attribute sind folgendermaßen zu interpretieren: Der Sporn verkörpert den eiligen Ritt, die nachtaktiven Fledermäuse deuten die nächtliche Stunde an und der Geierschädel verweist auf die verfallene Burg Rodenstein.

Auch Scheffels Perkeo-Gedicht ist Bestandteil der Gedichtsammlung Gaudeamus. Perkeo war ein für seinen großen Durst berühmter Hofnarr von Kurfürst Karl Philipp, der sich für die Wiederherstellung des Großen Fasses auf dem Heidelberger Schloß eingesetzt haben soll. Scheffels Gedicht geht in der Ausmalung der äußerst populären Legende um Perkeo und das Große Faß so weit, daß Perkeo es - gewissermaßen als Lebensleistung - allein ausgetrunken habe.

Kurz nach dem Tod Scheffels (1886) wurde ihm auf der Terasse des Schloßgartens ein prächtiges Bronze-Denkmal gesetzt, das 1942 - zu Gunsten von Hitlers Rüstungsvorhaben im Zweiten Weltkrieg - eingeschmolzen wurde (siehe ganz oben rechts). 1976 wurde, anläßlich des 150. Geburtstags Scheffels, 20 Meter neben dem alten Standort des Denkmals ein Gedenkstein errichtet (siehe unten rechts).
ABSTAND

Literatur

Buselmeier, Michael. "Bloss nicht erwachsen werden", in: Heidelberg im Gedicht, hg. v. Helmuth Kiesel. Frankfurt a. M, 1996. S. 81-86.
Fink, Oliver. "Memoires vom Glück" Wie der Erinnerungsort Alt-Heidelberg erfunden, gepflegt und bekämpft wurde. Heidelberg, 2002. (zu Scheffel: S. 58-65)
Hartmann
, Dagmar. Henkenhaf und Erbert. Architekten der Stadthalle Heidelberg. Heidelberg, 2004 (zum Trompeter von Säkkingen, dem Rodensteiner und Perkeo: 218 f.).

Scheffel, Joseph Victor von. "Die Burschenschaft und ihre Stellung in der Gegenwart", aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von Hansgeorg Schmidt-Bergmann, in: Allmende, eine allemannische Zeitschrift, Bd. 18, 1998. S. 45-52.
Schröder, Klaus-Peter. "Revolution und Poesie. Joseph Victor von Scheffel an der Bergstraße 1848/49", in: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße, Bd. 18, 1985. S. 5-18.

Selbmann, R. Dichterberuf im bürgerlichen Zeitalter. Johann Victor von Scheffels Leben und Werk. Heidelberg, 1982.

Wetzig
, Sabine. "Die Denkmäler für Karl Gottfried Nadler und Joseph Victor von Scheffel", in: Heidelberger Denkmäler 1788-1981
, hg. v. Dietrich Schubert (= Neue Hefte zur Stadtenwicklung und Stadtgeschichte 2). Heidelberg, 1982. S. 36-43.
Zentner, Wilhelm. "Scheffel als Heidelberger Student", in: Kurpfälzer Jahrbuch, 1929. S. 142-155.

Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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