Karl Gottfried Nadler
(1809-1849)

Hintergrundinformationen


's Keddekalb in Heidelberg

Die Pfaffegaß zu Heidelberg,
Fünfhunnert Johr is 's schier,
War wie e Burg, mit Dhor un Schloß,
De Chorherrn ihr Quardier.
Un nie seither, wie nie zuvor,
War so e doller voller Chor;
Schun eh die Sunn is gsunke
Do hawwe se getrunke
Bis schpät noch Middernacht.

Manch kubbernäsger Riddersmann,
Wann nit die Chronik lügt,
Hot angebunne mit de Herrn,
Keen eenziger hot gsiegt.
Doch vun dem ewge schwere Kampf
War ewig Alles aach im Dampf,
Un morgens trüb die Aage,
Die Glieder wie verschlage,
Un zidderig die Schtimm.

Was schpuckt dann in de Pfaffegaß
Schun bei fünfhunnert Johr?
Was keucht un schloddert in der Nacht
Aus dem Quardier ervor?
Was schnauft un dappt mit schwere Tritt?
Mar hört's, doch was 's is, sischt mar nit;
Es brüllt un 's raßle Kedde! -
Seid schtill, dhut jo nix redde,
So brüllt als 's Keddekalb!

's war widder so e dolli Nacht,
Un alles dick im Dunscht,
Do hot e fremder Junker sich
Berühmt mit seiner Kunscht;
Sie könnde trinke noch so viel,
For ihn wär des e Kinnerschpiel,
In jeder Nacht am zwölfe
Wolld er de Herren helfe,
Vun ihre schwerschte Räusch.

Jetz säscht er uf chaldäisch was,
Do kummt e kohlschwarz Dhier,
Do kummt e Kalb, kohlraweschwarz,
Brüllt laut wie zehe Schtier;
's is gsaddelt un is ufgezaamt,
Un schteigt, wie wann e Gaul sich baamt,
Im Kobb zwee Feueraage,
Zwölf schwere Kedde schlage
Un raßle an seim Hals.

Zwölf Paffe sins, zwölf Kedde sins,
Zwölf dicke dicke Bränd,
E jeder Paff im Dussel faßt
Den Ring am Keddeend;
Un Eener, voll Courage vum Wein,
Der schwingt sich in de Saddel nein; -
"Hussah, schwarz Kalb! dhu schpringe!"
Kaam sächt ers, un do klinge
Die Kedde, - 's Kalb is fort!

Jetz rasselts durch die dunkel Schtadt,
Verbrüllt die nächtlich Ruh,
Un keucht, un schleppt die Pafferäusch
De Berg, de Wälder zu;
Es schnauft un dappt mit schwere Tritt,
Mar hört's; wo 's hin is weeß mar nit! -
Elf Herren ware nüchdern
Un frogenen ganz schüchdern:
"Wo is der zwölfte Mann?"

"Hoho! der Zwölft reit't 's Keddekalb
Jetz nachts vun zwöf bis eens,
Er reit'ts bis an de jüngschte Dag,
Erlöst en früher Keens;
Doch denk ich, dess soll morge sein, -
Ihr Herren trinkt en schwere Wein;
Un soll ich wieder helfe,
Ruft mich vor Nachts um Zwölfe, -
Ich denk, ihr kennt mich schun!"

Dem Kalb sein Weg zu Berg un Wald
Heeßt seitdem: Kettegaß,
Un in der Schtund um Middernacht
Hots noch sein freie Baß;
Do schnaufts un dappts mit schwere Tritt, -
Ob der noch drufsitzt, weeß ich nit,
Dann hört mars in de Gasse,
Do is nit lang zu schpasse,
Mar schpringt eh's näher kummt.

Zwor dhuts nit allzeit 's Keddekalb,
Wanns lautt wie bäh un muh,
Dann 's schpuckt aa schier in jeder Gaß
Hier Nachts was wie e Kuh!
Drum wann's vor eure Häuser wild
Um zwölfe schtolbert, schnauft un brüllt,
Guckt nit, geht nit ans Fenschter,
Uf jeden Fall sinns Gschpenschter! - -
Neen! 's schpuckt erschrecklich hier!


Dieses Bild zeigt die Bronzebüste die das
Nadler-Denkmal
auf dem Krahnenplatz krönt.



Hier sieht man das 1957 eingerichtete Nadler-Brünnlein, das am Haus Jungwirth an den Kurpfälzer Mundartdichter erinnert.



Hintergrund
information

Karl Gottfried Nadler gilt als bedeutendster Mundartdichter der Kurpfalz. Seine Gedichte sind in seiner Gedichtsammlung "Fröhlich Palz, Gott erhalts!" zusammengefaßt. Nadler rezipiert verschiedentlich kurpfälzische Sagenstoffe, so beispielsweise auch in dem oben zitierten Gedicht über das Heidelberger Kettenkalb. Das Gedicht gibt eine Volkssage wieder, die den Ursprung des Straßennamens "Kettengasse" (es handelt sich um die Straße, die längs der Ostfassaden von Jesuitenkolleg und Amtsgericht verläuft) mit dem Auftreten eines gespenstischen, schwarzen Kalbes erklärt, das - laut rasselnde Ketten hinter sich herziehend - des nachts in dieser Straße umherspukte. Ferner wird auf die Pfaffengasse bezug genommen, die das Quartier der Chorherren der Heiliggeistkirche war. Die dort ansässigen Kleriker werden wegen ihrer Trunksucht verspottet. Im Gedicht tritt ein Junker in Erscheinung, der behauptet, sie alle auf der Stelle nüchtern machen zu können. Er löst sein Versprechen ein, indem er das Kettenkalb herbeizaubert. Die Chorherren ergreifen die Ketten und werden von dem Kalb hinfort gerissen. Elf der zwölf Chorherren werden durch diese Erfahrung nüchtern und fallen vom Kettenkalb ab. Als sie den Junker fragen, wo der zwölfte Mann geblieben sei, gibt er zur Antwort, daß er das Kalb bis zum jüngsten Tag reiten müsse. In der vorletzten Strophe wird erläutert, daß der Weg, den das Kalb zu nehmen pflegt, seither Kettengasse genannt wird.

Neben der Mythenrezeption besteht der zweite wesentliche Aspekt von Nadlers Dichtung in der kategorischen Ablehnung der im deutschen Vormärz aufkommenden Nationalstaatsbewegung. An die Stelle des militanten Patriotismus der Vormärzzeit, treten bei Nadler eher pazifistische Züge. Besonders deutlich wird dies an Nadlers "Guckkasten-Lied vom großen Hecker", in dem er den badischen Revolutionär Friedrich Hecker (1811-1881) verspottete, der sich, als ein Scheitern der Paulskirchenrevolution drohte, in aussichtslosem Kampf gegen die wiedererstarkende Fürstenmacht wendete.

Literatur

Schröder, Klaus-Peter. "Karl Gottfried Nadler: ein Poet und Advokat aus Kurpfalz", in: Neue juristische Wochenzeitschrift, Bd. 43, 1990.

Wetzig, Sabine. "Die Denkmäler für Karl Gottfried Nadler und Joseph Victor von Scheffel", in: Heidelberger Denkmäler 1788-1981 (=Neue Hefte zur Stadtentwicklung und Stadtgeschichte, Heft 2/1982) Heidelberg, 1982.


Thomas Juelch - Heidelberg und die Kurpfalz

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